Der Anfang – Sucht nach Themen
Matt Utber ist Gründer von The Plant, einer Branding-Agentur in London. Zu seinen Kunden gehören Hotels, Bars und Restaurants. Immer häufiger geht es um die Namensfindung. „Das ist wohl die schwierigste Aufgabe für uns“, erzählt er. Im ersten Schritt identifiziert sein Team unterschiedliche Themen, zum Beispiel in Bezug auf die Geschichte der Inhaber:innen oder des Ortes, auf den Baustil oder die angebotenen Speisen und Getränke. „Überlegt euch eure Werte und wie ihr sie vermitteln wollt“ empfiehlt Utber. „Und wie ist die Atmosphäre des Ladens?“
Häufig spielt er mit gängigen Ausdrücken oder Redewendungen. Genau so haben es auch die Gründer:innen von Three Sheets in London gemacht. Ihr Name kommt von der englischen Redewendung „three sheets to the wind“. Ursprünglich ein Ausdruck aus der Seefahrt, der bedeutet, dass die Segeltaue locker sind und das Boot schwankt. „Three sheets“ war außerdem die höchste Stufe auf der Betrunkenheitsskala der alten Seeleute. So ist jetzt auch die Getränkekarte der Bar strukturiert.
Werdet persönlich
„Alle unsere Gäste wollen Angelina kennenlernen“, so Josh Owens-Baigler, Mitbegründer eines Restaurants im Londoner Osten. „Unsere Mitarbeiterinnen werden jeden Abend gefragt, ob sie Angelina sind.“ Tatsächlich stammt der Name aus einem Lied von Louis Prima, zu dem Owens-Baigler und sein verstorbener Vater im Auto mitsangen. Auch, wenn seine Angelina keine Pizzeria ist, – so wie im Lied – einen italienischen Touch hat der Laden. Das wussten Owens-Baigler und sein Partner immer. „Ich glaube, dass wir uns so früh auf einen Namen geeinigt haben, hat uns sehr dabei geholfen unsere Marke zu definieren“, erzählt Owens-Baigler. „Wir wollten einen Namen, der uns anspornt, Gas zu geben.“
Auch in der Stockholmer Kneipe A Bar Called Gemma bezieht sich der Name nicht auf eine Person, wie man vielleicht denken könnte, sondern einfach auf den Laden. „Es ist ein Akronym für unsere Ziele und unser Konzept“, sagt Mitbegründer Johan Evers. Die Buchstaben stehen für generosity, emotional, mindful, multilateral und artisan (Großzügigkeit, Emotionalität, Achtsamkeit, Vielseitigkeit und Handwerk). „Dann habe ich noch ein ‚A Bar Called‘ vorne drangehängt“, erklärt Evers. Da es sich um ein ehemaliges Café handelte, sollte der neue Zweck des Gebäudes deutlich werden. „Daraus entwickelten wir den Hashtag #ABCGemma. Das wird unser Markenzeichen.“
Mrs. Riot in London wurde definitiv nach einer Person benannt, wenn auch einer fiktiven. Die Kundschaft der Bar ist hauptsächlich weiblich, es treten weibliche Bands und Musikerinnen auf und auch das Team besteht vor allem aus Frauen. Wie Barbesitzer (und Eventmanager) Nick Zuppar erklärt, war der Name kein Zufall.
„Kitty Clive lebte im 18. Jahrhundert in Covent Garden. Sie war eine Pionierin. Sie war die erste Frau, die mehr Geld bekam als ein Mann. Sie war die erste wirkliche Berühmtheit in London. Die bekannteste Figur, die sie erschaffen hatte, hieß Mrs. Riot. Daher der Name der Bar. Ich weiß nicht, warum so viele Frauen hierherkommen, aber sie tun es eben. Mrs. Riot scheint eine besondere Anziehungskraft zu haben.“
So war es übrigens auch an dem Abend, als wir die Bar besuchten.
Was, wenn Marken aufeinanderprallen – mehrere Läden in einem Gebäude
Etwas komplizierter ist die Namensgebung bei Läden, die sich in Hotels befinden. Beide Orte brauchen ihren eigenen Namen und eine eigene Identität. Diese müssen aber zusammenpassen, sich ergänzen und gleichzeitig voneinander abheben. Wenn mehrere Parteien beteiligt sind, macht das den Prozess natürlich schwieriger.
Helenka Fletcher, Executive Director of Food and Beverages im Londoner Standard, stand bei der Namenssuche genau vor diesem Problem. „Zuerst sollte das Restaurant nicht Isla, sondern The Garden Restaurant heißen“, erzählt sie. Unterm Strich fanden wir aber, der Name wäre nicht stark genug. „Wir wollten eine Marke schaffen, die nicht nur Hotelgäste, sondern auch Gäste von außerhalb anzieht.“
Am Ende waren viele Leute an der Namensfindung beteiligt, darunter auch das Corporate Team in New York. „Wir arbeiten sehr kooperativ und beziehen immer alle mit ein, da dreht man sich auch mal im Kreis“, erklärt Fletcher. „Irgendwann muss aber eine Entscheidung getroffen werden, auf die sich alle einigen können, um weiterzumachen.“ Für Fletcher hat sich der Prozess angefühlt, als hätten sie einen Namen für ein Kind gesucht. „Isla passt jetzt gut und der Name hat sich etabliert. Ich kann mir gar keinen anderen mehr vorstellen.“
Nur ein paar Metro-Stationen weiter treffen wir Leo Robitschek, der vor einer ähnlichen Herausforderung stand: Er musste eine der drei neuen Bars benennen, die er im NoMad Hotel eröffnete. Der Vice President Food and Beverages der Sydell-Group ließ sich von der Geschichte des Ortes inspirieren. Hierbei handelt es sich um eine der ersten Polizeistationen, die während der Gin-Epidemie im 18. Jahrhundert erbaut wurde. Man einigte sich auf „Common Decency“ (gute Sitten), eine Anspielung auf den offensichtlichen Mangel genau dieser im historischen London. „Es ist echt lustig, dass hier früher eine Polizeistation war und jetzt ist es ein Ort, um ausgelassen zu feiern. Viele interessante Leute wurden hier festgenommen. Oscar Wilde verbrachte einige Zeit hier. Pinochet, Casanova, Vivienne Westwood und die Kray-Zwillinge. Und es ist nach wie vor ein Ort voller Geschichten“, schwärmt Robitschek. „Wir hoffen natürlich, dass es heute weniger Verhaftungen gibt!“, fügt er hinzu.
Ideen sind oft da, wo man sie nicht erwartet
„Es ist nicht immer so, dass die professionellen Kreativen, die besten Ideen haben“, sagt Utber. „Manchmal sind es Mitarbeiter:innen an der Rezeption oder die Kinder eines Teammitglieds. Es zahlt sich immer aus, offen und ohne Vorurteile Ideen zu sammeln.“
Für Decimo im Londoner Standard fanden wochenlang Workshops und Brainstormings statt, bevor man sich auf einen Namen einigen konnte. Eines Abends unterhielt sich Küchenchef Peter Sanchez-Iglesias mit seinem Vater Paco darüber, wie man „zehn“ (die Etage, auf der sich das Restaurant befindet) auf Spanisch ausdrücken kann. Paco schlug „Decimo“ vor. Und der Name passte perfekt zu der spanisch-mexikanisch inspirierten Karte und der gehobenen Atmosphäre.
Als Utber auf der Suche nach einem Namen für sein Fahrrad-Café war, sprach er mit einem Freund bei einem Barbesuch darüber. Der sagte einfach: „Nenn es ‚The Dynamo‘.“ Der Begriff kommt aus dem Radsport. In diesem Fall steht „Dynamo“ für die Energie, die Radfahrer:innen im Café auftanken können.
Es ist kein Geheimnis, woher Chris Goss den Namen für das neueste Drum-and-Bass-Festival seines Plattenlabels hat, bei dem im Juni 2022 sieben Tage lang 3.000 Menschen an einem abgelegenen Ort an der albanischen Küste tanzten. Goss war 1996 Mitbegründer von Hospital Records. Er baute das Label aus und veranstaltete landesweit regelmäßige Clubnächte unter dem Namen „Hospitality“. Irgendwann entstanden daraus Festivals in ganz Europa. Der Name des Events in Albanien ist einfach, naheliegend und wirkungsvoll: Hospitality on the Beach.
Recherche lohnt sich – der Namenscheck
„Es gibt ein rechtliches Risiko bei der Namensgebung“, sagt Utber und erzählt von einem Lokal („keines von unseren!“, fügt er hinzu), das einen Namen gewählt, das Branding erstellt, Logos entworfen, Speisekarten gedruckt und Schürzen hergestellt hatte. Und dann kam das Unterlassungsschreiben. Bei der Recherche ist Sorgfalt gefragt. Utber startet immer mit der Suche nach anderen Unternehmen und geistigem Eigentum. Im internationalen Raum arbeitet er mit lokalen Texter:innen zusammen, um heikel oder falsch übersetzte Texte und Probleme beim Tonfall zu vermeiden. Außerdem empfiehlt er eine anwaltliche Beratung von einer Kanzlei, die auf geistiges Eigentum spezialisiert ist.
Auch Owens-Baigler prüfte, ob bereits andere Läden in London den Namen Angelina trugen. Außerdem informierte er sich über die geltenden Urheberrechte. „Als Letztes haben wir gecheckt, wie weit vorne im Alphabet der Name liegt“, sagt er. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir das von Anfang an so geplant hatten, aber es war ein zusätzlicher Bonus und hat sich wirtschaftlich definitiv ausgezahlt.“
Das Geheimrezept in kurz
„Ein Name muss auf den Punkt sein“, sagt Fletcher. „Und er muss aussagen, worum es sich bei diesem Ort handelt – eine Bar, ein Restaurant oder ein Hotel. Er muss zum Angebot passen und einfach zu verstehen und zu erinnern sein.“ Utber stimmt dem zu. Aber er ist nicht davon überzeugt, dass ein guter Name eine Garantie für Glaubwürdigkeit oder Erfolg ist: „Natürlich kann man es schaffen, dass der Name bei den Leuten hängen bleibt – aber beurteilen werden sie dich nach dem, was du lieferst.“