Schon mal von Leo Robitschek gehört? Wenn ja, dann aus gutem Grunde. Bevor er Vice President of Food and Beverage bei der Sydell Group wurde, einer internationalen Hotelgruppe, sammelte er jahrelang Erfahrung als Berater für Barkonzepte und -menüs in Europa und Amerika. Für Robitschek das Wichtigste: Jedes Konzept, für das man sich entscheidet, muss für den Kunden nachvollziehbar sein. „Es gibt beeindruckende Barmenüs, die nicht erfolgreich waren, weil sie sich an Orten befinden, die einfach keinen Sinn ergeben.
Robitschek nennt das Beispiel einer italienischen Bar in New York City, gegründet von einer Gruppe von Branchengrößen. Man entschied sich für ein Tiki-Bar-Konzept. „Die Gäste wussten einfach nicht, was sie erwarten sollten. Das Restaurant war zwar gut, die Bar war gut, aber es passte nicht zusammen.“
Was die Frage noch nicht beantwortet: Was ist das richtige Menükonzept?
Schau dich um
Die direkte Umgebung, das Umfeld, ist eine offensichtliche Quelle für Inspiration. Selbst im frostigen Schweden. Hampus Thunholm im Roda Huset in Stockholm hat für seine Menükarte, die die Kunden auf eine Geschmackstour quer durch das Land führt, viel Lob geerntet – und nein, es ist kein einziger Köttbullar oder Hering in Sicht.
Die Cocktails hat er schlicht nach ihren Zutaten benannt: Gefrorene Moltebeeren, verbrannte Äpfel, und wer könnte auf die Himbeeren von Hampus’ Mutter verzichten? „Ich möchte zeigen, wie unsere Großeltern unser schönes Land aufgebaut haben. Wie es eigentlich ist, im hohen Norden zu arbeiten und zu leben, zumal dann, wenn ein halbes Jahr lang nichts wächst.“
Der gleiche Ansatz wird im „360“ in Athen verfolgt. Während des lauen Sommers konnten die Gäste von der Dachterrasse der Bar aus die Stadt überblicken und wurden mit dem Menü „Discovering Greece“ durchs ganze Land geführt. Die nordgriechische Stadt Florina, die für ihre süßen roten Paprikaschoten bekannt ist, würdigte man mit dem gleichnamigen Cocktail – alkoholbetont, umami, trocken mit Beefeater 24, Olorosa-Sherry, trockenem Wermut und einer Zwiebelperle. „Als würde man in eine mit griechischem Käse gefüllte rote Paprika beißen“, erklärt Barkeeperin Agapi Tropoulou.
Wage es, anders zu sein
In der Schwesterlocation des „360“, dem „A for Athens“, steht mehr auf dem Spiel. Die Herbstkarte basiert auf dem ewigen Wettstreit zwischen Logik und Emotion: Sechs Cocktails streiten dabei jeweils für für die eine oder die andere Seite. „Dare“, eine Abwandlung des Prohibitions-Cocktails Southside, wird mit „Fear“ gepaart. Für Tropoulou, die an der Entwicklung der Karten beider Bars mitgewirkt hat, gibt es kaum etwas, das mehr Angst einflößt als der Kannibale Hannibal Lecter aus dem Filmklassiker „Das Schweigen der Lämmer“, der sich rühmte: „Ich habe seine Leber mit ein paar Favabohnen und einem guten Chianti gegessen“. Der Fear-Cocktail wird folglich mit Aquafaba und Chianti zubereitet – nach Leber wagten wir allerdings nicht zu fragen.
Sei ein guter Sportsmann
Muhammad Ali ist seit Langem eine Inspiration in der Welt des Sports. Aber in Cocktails? Auf jeden Fall, sagt Konstantinos Theodorakopoulos. Der Bar-Unternehmer, der hinter dem Tresen des „Rumble in the Jungle“ steht – nicht nur Ali-Fans werden den Namen wieder erkennen –, hat sich bei der Zusammenstellung seiner Speisekarte von seiner Sportikone inspirieren lassen. Die Karte fußt zudem stark auf lokaler Zutaten-Beschaffung und Zero-Waste-Prinzipien – das Dschungelthema der Bar wird somit doppelt interpretiert und hat auch einen Umweltaspekt. Mutige Gäste können etwa für einen „Rope a Dope“ in den Ring steigen, einen Cocktail im Stile eines Old Fashioned. Er haucht Kaffee, den Gewürzen und den Schalen, die bei der Zubereitung anderer Getränke übrig bleiben, ein zweites Leben ein. Die Säure des suggestiv benannte „Spit Bucket“ hingegen lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Garniert mit einem leuchtend roten Klecks blutroter Fruchtpaste ergibt sich ein Cocktail, den man leicht „sippen“ kann.
Erinnere dich daran, was gut fürs Geschäft ist
„Unterhaltung, eine Geschichte, ein Gesprächsanlass, klare Werte“ – das ist es, wonach Kunden suchen, sagt Rory Shepherd, Inhaber der Hospitality-Beratungsagentur Avant_. Shepherd weiß so einiges über preisgekrönte Menüs, hat der global bekannte und beliebte Vertreter der Barzunft doch zuvor sieben Jahre in der „Little Red Door“ gearbeitet, wo er unter anderem an der Konzeption des „Flourish“-Menüs mitwirkte, das bei den Tales Of The Cocktail Spirited Awards 2022 als weltbestes Menü ausgezeichnet wurde.
„Ich erzähle gerne von der Menü-Szene in 'Der Sinn des Lebens' von Monty Python, in der das Menü eine Liste von Konversationen ist, die die Gäste führen könnten. Genau darum geht es: Es schafft Erinnerungen und man hat etwas, das man teilen kann.“
Sein wichtigster Rat für Barbetreiber, die eine Speisekarte von Grund auf neu erstellen wollen: Beginne damit, zu analysieren, ob das überhaupt notwendig ist oder nicht. „Man kann erfolgreiche Menükarten haben, die nur ein Stück Papier sind. Die wichtigste Frage ist: 'Hilft es meinem Geschäft, wenn ich es tue?’“
Und wenn die Inspiration noch fehlt, warum dann überhaupt eine Cocktailkarte anbieten? Genau so ging die „Bar Bisou“ in Paris vor, wo die Barkeeper die Gäste nach ihren bevorzugten Spirituosen und Geschmäckern fragen und dann daraus originelle Mischungen kreieren. „Im Bisou arbeiten wir ohne Speisekarte, das heißt, wir machen spezielle Drinks für jeden“, erklärt Bastien Bonnefoy. „Es mag zwar anmaßend wirken, aber wir versuchen, den Kunden über seine Getränke aufzuklären.
The Secret Sauce: die Essenz
Das letzte Wort soll noch einmal Leo Robitschek haben: „Es gibt einige tolle Bars, die 400 Cocktails auf der Karte haben, sie tun, was sie tun. Es geht nicht darum, was man anbietet. Es geht darum, seine Gäste zu kennen. Für sich zu definieren, wer man ist. Seine Grenzen zu kennen und in der Lage zu sein, das, was man tut, jedes Mal auf hervorragende Art und Weise zu tun, während man gleichzeitig großartige Gastfreundschaft bietet.“