Deep-Dives in das Bar-Business: So inspirierte SIP die Community auf dem Bar Convent Berlin 2024


18 Oktober 2024

Neue Zutaten und Aromen nutzen. Einen Drink und seinen Erfolg entschlüsseln. Kunst ins Spiel bringen. Die Karte zum effektiven Verkaufstool und das Arbeiten an der Bar zukunftsfähig machen: Um diese Vielfalt an Themen – und noch viele mehr – drehte sich der Auftritt von SIP auf dem Bar Convent Berlin. Im eigenen „SIP Studio“ und auf der Bühne der DBU e.V. gab es jede Menge Input aus der Branche, für die Branche. Editorial Head Jan-Peter Wulf hat sich für uns umgeschaut. 


Wer von euch weiß, was ein „bottle brush“ ist? Nein, der echte Flaschenputzer – ein praktisches Tool an der Bar übrigens – ist hier nicht gemeint, sondern die gleichnamige Pflanze. Die Callistemon, so ihr botanischer Name, stammen aus Australien und wachsen an vielen Stellen. Als Zutat für einen Cocktail allerdings werden sie selten verwendet, wohl aber im „Byrdi“ in Melbourne. Barbetreiber Luke Whearty hatte einige der im wahrsten Sinne des Wortes putzigen zylindrischen Blüten mit zum Bar Convent Berlin 2024 gebracht, um sie dem Fachpublikum zu präsentierten – eine wahrhaft einzigartige, hübsche Garnitur. Im „Byrdi“ ist das mehr als nur Spielerei: Wo möglich, versucht man, mit lokalen Zutaten zu arbeiten. Nach Covid treffe dies, so der Barprofi, den Geschmack seiner Gäste umso mehr – ein Gin aus der Stadt werde lieber getrunken als ein importierter, sogar Yuzu könne man mittlerweile made in Melbourne erhalten. Konsumenten bevorzugen immer mehr Fleisch von Kängurus – derer es zu viele „down under“ gibt als importiertes Wagyu aus Japan.  

 

Koji statt Kaffee

„Think out of the box“ ist sein Tipp an die Gäste des Talks „The Next SIP: The Future Of Flavours In A Changing World“: In Zeiten fortschreitenden Klimawandels komme es nicht nur darauf an, lokaler zu denken, sondern auch Alternativen zu finden. Beispiel Kaffee: Das globale Anbaugebiet schrumpft mit zunehmender Erderwärmung. Welche aromatischen Alternativen gäbe es? Whearty hat was dabei: ein grobkörniges Pulver, das wirklich nach Kaffee riecht und auf Koji basiert, das man u.a. für die Herstellung von Sake benötigt – im Grunde ein Überbleibsel einer anderen Produktion. Ein zweites Koji-Granulat duftet wie Schokolade – perfekte Geschmacksgeber für Drinks.  

The Next SIP - Bottlebrush & Kaffee aus Koji

Aus der Kombination von drei Aromen einen „fourth flavour“ kreieren

Der zweite Gast der Talkrunde, die von Daphné Hor, Head Of Cultural Foresights bei Pernod Ricard, geleitet wird, ist Jeremy Roque. Er arbeitet für Givaudan, den weltweit größten Aromenhersteller, und rät vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen dazu, aus bestehenden Aromen etwas Neues zu kreieren. Mit der Kombination von Kaffee, Quitte und Saffran habe man ein Produkt für einen Kunden geschaffen, das einen vierten, neuen Geschmack aufweise. Wohin die Reise geht? Plant-based, im Foodbereich schon eine enorme Wachstumskategorie, trendet auch bei Getränken, etwa als Milchalternative. Vegane Cocktails sind heute vielleicht noch kein großes Thema, doch bei der steigenden Anzahl sich pflanzenbasiert ernährender Menschen nur konsequent. Ebenso werde Fermentation zukünftig eine noch größere Rolle spielen, so der in Verhaltenswissenschaft promovierte Aromenexperte.

 

Die Genealogie eines Drinks

So tief hinein in die Welt der Aromen ging es auch gleich weiter beim – von Jameson gehosteten Workshop „Genealogy Of A Drink: From Smelling To Extracting To Making It Look Adequate“. Auf der Bühne: Barikone Remy Savage vom „Abstract Bistrot“ Lyon und Maria Kontorravidis („A Bar With Shapes For A Name“, London), Giovanni Allario und Julie Couder vom „Garnish Lab“, Hadrien Moudoulaud von der „Bar Nouveau“ in Paris sowie Parfümeurin Alexandra Mettetal von „Technicoflor“, ebenfalls Paris. Im mehr als prall gefüllten „SIP Studio“ (zum Glück gab es den Workshop gleich an zwei Tagen) wurden Spirits und Drinks wortwörtlich auseinander genommen und ihre Einzelbestandteile untersucht. Jameson Black Barrel, ein Blend aus Grain und Pot Still Whiskey, in drei unterschiedlichen Fassarten gelagert, lässt sich so aromatisch „entschlüsseln“: Butterscotch, Kakao, Karamell und Toffee bilden die Kopfnoten, Pfeffer und Gewürznelke führen über zur die Herznote, gefolgt von Trockenfrüchten, Vanille und Tabak. Die Basis bilden Eichenholz und getoastetes Holz. Man sieht hier, welch enormen Einfluss also die Fasslagerung auf die Konsistenz eines Whiskeys hat. Und probiert wurden die Einzelbestandteile auch.  

Hervorhebungen und Kontraste

Mit diesem Wissen und mit sensorischem Know-how können Bartender*innen neue Drinks systematisch bauen, etwa indem einzelne der Spirituosen-Eigenschaften hervorgehoben oder kontrastiert werden. Mit Honig etwa wird der „gourmand“-Aspekt – Kakao, Karamell und Co. verstärkt. Wermut wiederum setzt ein Schlaglicht auf die würzigen Bestandteile, während Olive(nessenz) einen Kontrast zu den ledrigen Noten ebenso wie zur lieblichen Vanille herstellt und in Summe – wir hatten es schon oben – einen ganz neuen Geschmack hervorbringt. Am Ende gehe es darum, stellte Remy Savage heraus, einen kohärenten Drink zu kreieren. Wozu neben den geschmacklichen Eigenschaften natürlich auch die Story drumherum gehört. Und wie man sich diese perfekt ausdenkt und erzählt, darüber wiederum sprach er bereits für SIP beim Bar Symposium Cologne – den Talk in voller Länge findet ihr hier. 

 

Ein preisgekrönter Pop-Art-Aperitivo

Ebenso tat dies Esmeralda Castrogiovanni, gebürtige Malteserin, Bartenderin im „Sips“ in Barcelona und Gewinnerin des  „Art Of Italicus“-Cocktailwettbewerbs 2024. Ihr Siegerdrink „Alloway“ bestand neben dem italienischen Bergamotten-Likör aus Bitterlimonade und Green Apple Soda, aus der Flasche serviert. Ein klarer, scheinbar sehr simpler, fast schon banal erscheinender Drink, hinter dem jedoch ein großes Konzept steckt – die Welt der Pop-Art nämlich, die Alltägliches zur Kunst macht. Wie die Tomatensuppendose, die zur Kunst wird, wird so der Drink zum trinkbaren Art-Objekt. Und zum essbaren, denn die poppig-bunte Serviette, auf welcher der „Alloway“ steht, ist essbar. Schmeckt sogar! In ihrem Workshop „The Art Of Aperitivo“ zeigte die Frau mit knallgrüner Ponyfrisur, wie man das macht – mit Gelatinepuder, Reispapier, Glycerin, einer Mikrowelle und etwas Geduld wird aus einem Zubehör ein echtes Alleinstellungsmerkmal.  

 

Die Barkarte: Schlüssel zum Erfolg – und Misserfolg  

Sich über Zutaten Gedanken zu machen, sich in die Genealogie eines Drinks einzuarbeiten, über Garnishes und essbares Zubehör, all das bringt aber nur etwas, wenn man es auch verkauft bekommt. Barprofi und -betreiber Lukas Motejzik vom „Zephyr“ in München sieht viel zu viele Barkarten, in denen sich Kolleg*innen vor allem selbst verwirklichen wollen: ambitioniert, experimentell, umfangreich – und für Gäste, die nicht aus der Branche kommen (die Mehrzahl!) komplett unzugänglich. 
 
Das machte er in seinem Talk auf der Bühne der DBU e.V. (Deutsche Barkeeper-Union), präsentiert von Havana Club, griffig: Was denken die meisten Gäste, wenn sie auf der Getränkekarte „Himbeere“ lesen? Süß, fruchtig, beerig. Im Kopf ein Drink in rosaroten Farben, schaumig vielleicht, fancy. Was aber, wenn das Barteam sich überlegt hat, eine Old-Fashioned- oder Manhattan-Variante mit Himbeerbrand auf die Karte zu bringen? Barflys wissen, was sie erwartet. Doch tun das auch Gäste, die endlich mal wieder mit Freunden ausgehen und einfach eine gute Zeit haben wollen? Motejzik berichtet, er habe kürzlich einen „Pina Colada Old Fashioned“ in einer Bar getrunken. Für Insider klingt so ein Drink spannend, für „normale Menschen“ ist es, Zitat Motejzik, „eine völlig irreführende Bezeichnung“. Kommt dann eine Pina Colada im altmodischen, also traditionellen Stil an den Tisch? Wohl kaum. Auch in der eigenen Bar sei man aufgrund falscher Begrifflichkeit in der Karte mit Drinks auf dem Bauch gelandet, gibt er offen zu.  

Es geht vor allem darum: Was erwarten die Gäste?

Worum geht es? Erwartungen zu erfüllen. Was erwarten die Gäste, wenn sie die Zutaten lesen? Eine Cocktailkarte ist eine Wissenschaft für sich, zeigt Motejzik. Sie muss sich vom individuellen Konzept herleiten, klar. Doch es gibt Erfolgskriterien, die praktisch immer gelten: Die Karte ist Verkaufstool Nummer Eins, Leitfaden für die Gäste, dient als Mediation (Gesprächsvermittlung) zwischen Service und Gast, entlastet das Team und bietet Entertainment.

Wer nun eine Karte schreibt, sollte sich fragen: Werden die Erwartungen der Gäste an Zutaten und Cocktails erfüllt? Ist das Design selbsterklärend? Was kann ich weglassen? Was muss unbedingt auf die Karte? Was kann der Service „auf der Tonspur“ ergänzen? Letztlich geht es darum, Kreativität und Wirtschaftlichkeit zueinander zu bringen: Eine schmalere Karte ist effektiver, einfacher für Bar und Service zu handeln – und ein gutes Team hat die Klassiker eh drauf, wenn jemand diese wünscht. Doch auf der Karte selbst ist weniger Auswahl mehr: „Jeder Cocktail erfüllt eine Funktion“, so Motejzik.  

Und wie sich eine Karte sowohl funktional wie höchst kreativ gestalten lässt, zeigte er am Beispiel der Mannheimer Bar „Sieferle und Kø“, die völlig zurecht den „Mixology Bar Awards“ für die „Barkarte des Jahres“ abräumten. Eine Cocktailkarte wie das Menü eines Diners oder China-Imbisses? Aber ja. Siehe Instagram!  

 

New Work ganz konkret

Motejziks inspirierenden Talk gibt es in Kürze auf dem YouTube-Kanal der DBU ebenso in voller Länge wie das spannende Gespräch zum Thema „Arbeiten in der Zukunft“ hosted by SIP, in dem Host Dominique Krauss mit Fredi Behrens („Collab Bar“, Hamburg), Anne Linden („Ice & Tasty“) und Sven Goller („Das Schwarze Schaf“, Bamberg und zum „Gastgeber des Jahres“ bei den Mixology Bar Awards gekürt) diskutierten. Behrens berichtete, dass sie in vorherigen Bars nicht während der Arbeitszeit eigene Zutaten und Mixturen ausprobieren durfte, während dies in der „Collab Bar“ – der Name ist eben Programm – erlaubt und erwünscht sei. Die Weiterbildung findet quasi im Job statt. 
 
Sven Goller berichtete, dass er kürzlich einen großen Wechsel im Team hatte, während vorher lange dieselbe Crew bei ihm tätig war. Auf ein neues Team muss man sich neu einstellen, da macht man nicht alles richtig, so seine selbstkritische Analyse. Umso froher sei er, dass seine Leute proaktiv kommunizieren, wenn sie etwas anderes von ihm brauchen als er es ihnen gerade gebe. „Dann kann man darüber reden und es ändern. Ich kann nur Probleme lösen von denen ich weiß, dass sie existieren“, so Goller. Grundsätzlich werde heute mehr Wert auf Kommunikation gelernt. „Das muss ich jeden Tag neu lernen“, fügte er schmunzelnd hinzu.

Filtern und vernetzen

Stichwort jeden Tag neu lernen: Wir sind von Information, ja Über-Information umgeben. Und jede*r von uns hat seine eigenen präferierten Quellen und Medien. Der eine liest lieber, die andere hört Podcasts. Der oder die Dritte schaut sich lieber How-to-Videos an und so weiter. Sich aus dieser Flut, die sich ständig vervielfacht, das Passende herauszufiltern, sei eine wichtige Aufgabe, findet Anne Linden von „Ice & Tasty“, die gemeinsam mit Chloé Merz Cocktailrezepte und ihre Entstehung veröffentlicht sowie Hospitality-Betriebe berät.

Von Geheimniskrämerei – Rezepte nicht teilen etwa – hält sie nichts vor dem Hintergrund zukunftsorientierten Arbeitens: „Ein freier Wissenszugang ermöglich die Überprüfung von Qualität und Richtigkeit“, erklärt sie. Seinen Informationspool, etwa für das Wissen über Cocktails, das alle ambitionierten Barmenschen stetig steigern wollen, ständig kritisch zu überprüfen und den Austausch zu pflegen, sei der Schlüssel dazu. Dominique Krauss nennt dies ein „growth mindset“ als Gegenteil zu einem „fixed mindset“: Offen für Neues sein, selbstkritisch und lernfähig, statt „ham wa immer schon so gemacht“, so sieht das Arbeiten in der Zukunft, und die beginnt genau jetzt, aus. Noch viel mehr dazu gibt es in unserer Zusammenfassung des Workshops New Work in der Hospitality von und mit Dominique. Natürlich präsentiert von uns.

 

SIP wird seinem Motto mehr als gerecht 

Fazit: Auf dem Bar Convent Berlin hat sich SIP als Enabler und Impulsgeber für eine Vielzahl von spannenden, informativen, zum Nachdenken und zum Nachmachen anregenden Talks, Panels und Workshops präsentiert, ganz getreu dem Motto „Share – Inspire – Pioneer“. Dass so viele Gäste der Messe sich die Zeit genommen haben, mit uns in die Tiefen der Themen einzutauchen, freut uns sehr und zeigt uns: Der Wissensdurst und der Wunsch nach noch mehr Austausch ist groß. Wir bleiben dran!  

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